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Herbert Kickl (FPÖ) war seit einem Monat Innenminister, als das Büro seines Generalsekretärs im Jänner 2018 plötzlich hektische Aktivität zur Stopline entwickelte. Bei der vom Verband der Internetprovider (Ispa) betriebenen Meldestelle konnten damals schon seit Jahren Missbrauchsdarstellungen von Kindern sowie nationalsozialistische Inhalte gemeldet werden. Das erfolgte in enger Kooperation mit Innen- und Justizministerium, die auch hochrangige Beamte in den Stopline-Beirat entsandten.
Peter Goldgruber und Herbert Kickl diskutieren sitzend
Während seiner Zeit als Innenminister vertraute FPÖ-Chef Herbert Kickl (rechts) auf den Polizisten Peter Goldgruber als Generalsekretär.
HANS PUNZ / APA / picturedesk.co
Mitarbeiter von Kickls Generalsekretär Peter Goldgruber wollten aber plötzlich eine Gesetzeslücke erkannt haben – und drängten andere Beamte, eine Anzeige gegen die Stopline und ihre Mitarbeiter zu stellen. Diese würden in ihrer Tätigkeit ja Kindesmissbrauchsdarstellungen besitzen, daher müsse das als Straftat angezeigt werden.
Eine NGO, die sogenannte Kinderpornografie bekämpft, sollte also genau wegen dieses Delikts angezeigt werden. Als Begründung hieß es damals aus dem Büro Goldgrubers, man wolle "rechtliche Klarheit" herstellen.
"Eigen-Interpretation"
Die damalige Leitung des Bundeskriminalamts wehrte sich dagegen mit Nachdruck. So eine Zusammenarbeit sei international üblich und mit der Justiz akkordiert, betonte dessen Direktor Franz Lang in einem Mailverkehr, der dem STANDARD vorliegt. Doch das Büro Goldgrubers ließ nicht locker: Das sei eine "Eigen-Interpretation der bestehenden Rechtsmaterie", meinte Fachreferent F. dazu.
Der Polizist war einst selbst in die Schlagzeilen geraten, weil ihm vorgeworfen wurde, zwei Hinweise auf Wolfgang Priklopil, den Entführer von Natascha Kampusch, erhalten zu haben, ohne dass dies zu Konsequenzen führte. Als Kickl Innenminister wurde, bekam F. ebendort einen Job, obwohl die FPÖ in Anfragen gegen ihn agitiert hatte, wie der STANDARD damals berichtete. F. betrieb auch jahrelang abseits seines Beamtenberufs Jugendcamps und verwendete für diese auf Facebook seine dienstliche E-Mail-Adresse.
Gegen die Stopline wollte F. nun ein hartes Vorgehen: Es sei jedenfalls eine Anzeige zu legen. Auch ein Mitarbeiter von Kickls Kabinett fragte, wo die Anzeige bleibe. Aus dem Büro Kickls heißt es nun auf Anfrage des STANDARD, dem FPÖ-Chef sei "weder der Vorgang noch ein allfälliger konkreter Anlass dafür bekannt".
"Erhebliche Irritationen"
Die Mails aus dem Kabinett interpretierte Kriminalamtschef Lang damals als "Weisung", die zu befolgen sei. Aber: "Es ist aber auch meine Pflicht, auf die Unzweckmäßigkeit einer Anordnung hinzuweisen, was ich hiermit tue." Er befürchtete "erhebliche Irritation" bei der Justiz und anderen Akteuren und einen "medialen Shitstorm". Man würde zu Recht fragen, warum man nun mit der "Keule einer Sachverhaltsdarstellung" ankomme, statt das in den passenden Gremien zu besprechen und zu klären.
Erst die Justiz selbst konnte den Forderungen des Kickl-Umfelds einen Riegel vorschieben. Ein Beamter aus dem Ministerumfeld, der damals involviert war, betont im Gespräch mit dem STANDARD, dass er jedenfalls sehr gute Erfahrungen mit der Stopline gemacht habe. Es habe aber externe Anfragen gegeben, wie die rechtliche Basis für deren Arbeit aussehe. Das habe man prüfen wollen, ohne Hintergedanken zu haben. Ähnlich klingt es aus dem Büro Kickls. Es sei ausschließlich um Rechtssicherheit und "damit Absicherung" der Stopline-Mitarbeiter gegangen, "damit diese ihrer wichtigen Tätigkeit im Bereich der Bekämpfung von Kinderpornografie weiter nachgehen können, ohne sich einem strafrechtlichen Risiko auszusetzen".
Vorgehen gegen NGOs
Die bemerkenswerte Episode in der Ära Kickl ist vielen im Innenministerium bis heute in Erinnerung geblieben. Manche vermuten, dass die FPÖ-Führung des Ressorts die Stopline vor allem wegen ihrer Funktion als Meldestelle für Wiederbetätigung ins Visier genommen hat.
Bei einem Ende der Kooperation wäre diese Aufgabe komplett von der NS-Meldestelle im Verfassungsschutz übernommen worden. Dort kam es kurz nach den Mails zur Stopline zu einer Hausdurchsuchung, auch hier sorgte das Büro des Generalsekretärs für Druck. Mitarbeiter drängten die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu intensiven Ermittlungen gegen Verfassungsschützer. Das führte zur berüchtigten Razzia im BVT inklusive Hausdurchsuchung im Extremismusreferat, wo die staatliche NS-Meldestelle angesiedelt ist.
"NGO-Business"
Warum das Vorgehen von Kickls Generalsekretär nun relevant ist: Die FPÖ hat den Kampf gegen NGOs wieder zu einem ihrer großen Themen gemacht. Nichtregierungsorganisationen seien intransparent, eine Parallelregierung und Empfänger von viel zu viel Steuergeld, trommelt die Rechts-außen-Partei. Fast 30.000 Fragen zum "NGO-Business" hat sie dazu an Ministerien gestellt.
Kritiker sehen darin einen ersten Versuch, NGOs einzuschüchtern. "Es geht rein darum, Stimmung gegen die Zivilgesellschaft zu machen", sagt die Sozialwissenschafterin Ruth Simsa. Sie sieht das Vorgehen als einen von vielen Schritten, um NGOs zu diskreditieren.
Die FPÖ weist mit Nachdruck zurück, dass es ihr bei der aktuellen Anfragenserie um eine Kritik an allen NGOs gehe. Dieser Vorwurf sei "schäbig", hieß es etwa in einer Aussendung.
Stopline: "Absurd"
Der Vorgang rund um die Stopline, über den mittlerweile viele Beamte in Innen- und Justizministerium Bescheid wissen, zeige jedoch, wie weit die FPÖ gehen würde, sagen Kritiker. Deshalb sei es ihnen wichtig, die Causa nun publik zu machen. Die Sache blieb damals ohne Konsequenzen: In Absprache zwischen Bundeskriminalamt und Justizministerium wurde 2018 erkannt, dass kein legistischer Handlungsbedarf bestehe.
Bei der Stopline erfuhr man erst auf Anfrage des STANDARD von den Vorgängen. Dort betont man die jahrelange gute Zusammenarbeit mit Innen- und Justizministerium, "um das oberste Ziel von Stopline gemeinsam zu erreichen: die schnelle und unbürokratische Entfernung dieser illegalen Inhalte aus dem Internet, vor allem dann, wenn sie in Österreich gehostet werden". Es wäre "absurd", die Bekämpfung dieser Straftaten zu beeinträchtigen.
Die FPÖ selbst fordert regelmäßig ein härteres Vorgehen gegen Pädokriminalität. Allerdings gerieten in den vergangenen Monaten mehrere freiheitliche Ex-Politiker selbst ins Visier der Ermittler. Im August 2024 wurde ehemaliger Grazer Gemeinderat verurteilt, weil man im Zuge der Grazer Finanzaffäre "sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial" gefunden hatte. Das Urteil ist rechtskräftig. Das Portal Mediapartizan berichtete nun, dass ein Klagenfurter FPÖ-Funktionär verurteilt wurde, weil er während seiner aktiven Zeit in der Partei jahrelang rund 120 derartige Darstellungen aus dem Internet heruntergeladen hatte. (Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, 4.9.2025)