Daily Shaarli
September 8, 2025
Herbert Kickl (FPÖ) war seit einem Monat Innenminister, als das Büro seines Generalsekretärs im Jänner 2018 plötzlich hektische Aktivität zur Stopline entwickelte. Bei der vom Verband der Internetprovider (Ispa) betriebenen Meldestelle konnten damals schon seit Jahren Missbrauchsdarstellungen von Kindern sowie nationalsozialistische Inhalte gemeldet werden. Das erfolgte in enger Kooperation mit Innen- und Justizministerium, die auch hochrangige Beamte in den Stopline-Beirat entsandten.
Peter Goldgruber und Herbert Kickl diskutieren sitzend
Während seiner Zeit als Innenminister vertraute FPÖ-Chef Herbert Kickl (rechts) auf den Polizisten Peter Goldgruber als Generalsekretär.
HANS PUNZ / APA / picturedesk.co
Mitarbeiter von Kickls Generalsekretär Peter Goldgruber wollten aber plötzlich eine Gesetzeslücke erkannt haben – und drängten andere Beamte, eine Anzeige gegen die Stopline und ihre Mitarbeiter zu stellen. Diese würden in ihrer Tätigkeit ja Kindesmissbrauchsdarstellungen besitzen, daher müsse das als Straftat angezeigt werden.
Eine NGO, die sogenannte Kinderpornografie bekämpft, sollte also genau wegen dieses Delikts angezeigt werden. Als Begründung hieß es damals aus dem Büro Goldgrubers, man wolle "rechtliche Klarheit" herstellen.
"Eigen-Interpretation"
Die damalige Leitung des Bundeskriminalamts wehrte sich dagegen mit Nachdruck. So eine Zusammenarbeit sei international üblich und mit der Justiz akkordiert, betonte dessen Direktor Franz Lang in einem Mailverkehr, der dem STANDARD vorliegt. Doch das Büro Goldgrubers ließ nicht locker: Das sei eine "Eigen-Interpretation der bestehenden Rechtsmaterie", meinte Fachreferent F. dazu.
Der Polizist war einst selbst in die Schlagzeilen geraten, weil ihm vorgeworfen wurde, zwei Hinweise auf Wolfgang Priklopil, den Entführer von Natascha Kampusch, erhalten zu haben, ohne dass dies zu Konsequenzen führte. Als Kickl Innenminister wurde, bekam F. ebendort einen Job, obwohl die FPÖ in Anfragen gegen ihn agitiert hatte, wie der STANDARD damals berichtete. F. betrieb auch jahrelang abseits seines Beamtenberufs Jugendcamps und verwendete für diese auf Facebook seine dienstliche E-Mail-Adresse.
Gegen die Stopline wollte F. nun ein hartes Vorgehen: Es sei jedenfalls eine Anzeige zu legen. Auch ein Mitarbeiter von Kickls Kabinett fragte, wo die Anzeige bleibe. Aus dem Büro Kickls heißt es nun auf Anfrage des STANDARD, dem FPÖ-Chef sei "weder der Vorgang noch ein allfälliger konkreter Anlass dafür bekannt".
"Erhebliche Irritationen"
Die Mails aus dem Kabinett interpretierte Kriminalamtschef Lang damals als "Weisung", die zu befolgen sei. Aber: "Es ist aber auch meine Pflicht, auf die Unzweckmäßigkeit einer Anordnung hinzuweisen, was ich hiermit tue." Er befürchtete "erhebliche Irritation" bei der Justiz und anderen Akteuren und einen "medialen Shitstorm". Man würde zu Recht fragen, warum man nun mit der "Keule einer Sachverhaltsdarstellung" ankomme, statt das in den passenden Gremien zu besprechen und zu klären.
Erst die Justiz selbst konnte den Forderungen des Kickl-Umfelds einen Riegel vorschieben. Ein Beamter aus dem Ministerumfeld, der damals involviert war, betont im Gespräch mit dem STANDARD, dass er jedenfalls sehr gute Erfahrungen mit der Stopline gemacht habe. Es habe aber externe Anfragen gegeben, wie die rechtliche Basis für deren Arbeit aussehe. Das habe man prüfen wollen, ohne Hintergedanken zu haben. Ähnlich klingt es aus dem Büro Kickls. Es sei ausschließlich um Rechtssicherheit und "damit Absicherung" der Stopline-Mitarbeiter gegangen, "damit diese ihrer wichtigen Tätigkeit im Bereich der Bekämpfung von Kinderpornografie weiter nachgehen können, ohne sich einem strafrechtlichen Risiko auszusetzen".
Vorgehen gegen NGOs
Die bemerkenswerte Episode in der Ära Kickl ist vielen im Innenministerium bis heute in Erinnerung geblieben. Manche vermuten, dass die FPÖ-Führung des Ressorts die Stopline vor allem wegen ihrer Funktion als Meldestelle für Wiederbetätigung ins Visier genommen hat.
Bei einem Ende der Kooperation wäre diese Aufgabe komplett von der NS-Meldestelle im Verfassungsschutz übernommen worden. Dort kam es kurz nach den Mails zur Stopline zu einer Hausdurchsuchung, auch hier sorgte das Büro des Generalsekretärs für Druck. Mitarbeiter drängten die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu intensiven Ermittlungen gegen Verfassungsschützer. Das führte zur berüchtigten Razzia im BVT inklusive Hausdurchsuchung im Extremismusreferat, wo die staatliche NS-Meldestelle angesiedelt ist.
"NGO-Business"
Warum das Vorgehen von Kickls Generalsekretär nun relevant ist: Die FPÖ hat den Kampf gegen NGOs wieder zu einem ihrer großen Themen gemacht. Nichtregierungsorganisationen seien intransparent, eine Parallelregierung und Empfänger von viel zu viel Steuergeld, trommelt die Rechts-außen-Partei. Fast 30.000 Fragen zum "NGO-Business" hat sie dazu an Ministerien gestellt.
Kritiker sehen darin einen ersten Versuch, NGOs einzuschüchtern. "Es geht rein darum, Stimmung gegen die Zivilgesellschaft zu machen", sagt die Sozialwissenschafterin Ruth Simsa. Sie sieht das Vorgehen als einen von vielen Schritten, um NGOs zu diskreditieren.
Die FPÖ weist mit Nachdruck zurück, dass es ihr bei der aktuellen Anfragenserie um eine Kritik an allen NGOs gehe. Dieser Vorwurf sei "schäbig", hieß es etwa in einer Aussendung.
Stopline: "Absurd"
Der Vorgang rund um die Stopline, über den mittlerweile viele Beamte in Innen- und Justizministerium Bescheid wissen, zeige jedoch, wie weit die FPÖ gehen würde, sagen Kritiker. Deshalb sei es ihnen wichtig, die Causa nun publik zu machen. Die Sache blieb damals ohne Konsequenzen: In Absprache zwischen Bundeskriminalamt und Justizministerium wurde 2018 erkannt, dass kein legistischer Handlungsbedarf bestehe.
Bei der Stopline erfuhr man erst auf Anfrage des STANDARD von den Vorgängen. Dort betont man die jahrelange gute Zusammenarbeit mit Innen- und Justizministerium, "um das oberste Ziel von Stopline gemeinsam zu erreichen: die schnelle und unbürokratische Entfernung dieser illegalen Inhalte aus dem Internet, vor allem dann, wenn sie in Österreich gehostet werden". Es wäre "absurd", die Bekämpfung dieser Straftaten zu beeinträchtigen.
Die FPÖ selbst fordert regelmäßig ein härteres Vorgehen gegen Pädokriminalität. Allerdings gerieten in den vergangenen Monaten mehrere freiheitliche Ex-Politiker selbst ins Visier der Ermittler. Im August 2024 wurde ehemaliger Grazer Gemeinderat verurteilt, weil man im Zuge der Grazer Finanzaffäre "sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial" gefunden hatte. Das Urteil ist rechtskräftig. Das Portal Mediapartizan berichtete nun, dass ein Klagenfurter FPÖ-Funktionär verurteilt wurde, weil er während seiner aktiven Zeit in der Partei jahrelang rund 120 derartige Darstellungen aus dem Internet heruntergeladen hatte. (Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, 4.9.2025)
Bundeskanzler Christian Stocker und Staatssekretär Alexander Pröll (beide ÖVP) laden am Freitag (12. September) zu einem Digital-Gipfel ins Bundeskanzleramt. Dabei sollen die Digitalminister aus Kroatien, Dänemark, Polen, Portugal, der Slowakei sowie die Europäische Kommission vor Ort vertreten sein, die Minister aus Belgien, Zypern, Estland, Deutschland, Italien, Luxemburg, Rumänien, Malta und Slowenien werden zugeschaltet. Ziel sei es, eine Charta Digitale Souveränität zu entwickeln.
Diese Charta solle für die EU-Staaten eine Grundlage bilden und Orientierung geben, um die digitale Souveränität auf nationaler Ebene und damit auch auf europäischer Ebene zu stärken, hieß es aus dem Bundeskanzleramt am Sonntag gegenüber der APA.
"Selbstbestimmtes Handeln"
"Digitale Souveränität ist die Grundlage unserer politischen Handlungsfähigkeit. Wir müssen unsere Datenhoheit wahren, Abhängigkeiten von Global Playern reduzieren und gleichzeitig gemeinschaftlich in Europa Standards setzen. Es gilt europäisch zu denken und national zu handeln!", betonte Pröll in der Aussendung.
Dabei gehe es nicht "digitale Autarkie, sondern um ein selbstbestimmtes Handeln", so der Digital-Staatssekretär. "Jeder Euro in die digitale Zukunft ist eine Investition in unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere Demokratie und unseren sozialen Zusammenhalt." (APA, 7.9.2025)
„Nachgefragt“ bei „Krone“-Cyberexperte Cornelius Granig zu den Hackerangriffen auf Ministerien, Cybersicherheit und einen Auftrag in Millionenhöhe
(Video: krone.tv)
Nach dem jüngsten Hackerangriff auf das Innenministerium und den wiederholten Attacken auf das Außenministerium wird die Causa immer brisanter. Denn es geht längst nicht mehr nur um Fragen zur IT-Sicherheit des Staates, sondern auch um die Vergabe höchst sensibler Aufträge. Wie die „Krone“ aus Insiderkreisen erfuhr, ist ausgerechnet der Ehemann einer ehemaligen Ministerin mittendrin. Experten fordern dringend Aufklärung.
Der Rechnungshof berichtete unter dem Titel „Koordination der Cyber-Sicherheit“, dass mehr als 10.000 Arbeitsstunden von Mitarbeitern des Außenministeriums, Innenministeriums, Verteidigungsministeriums und Bundeskanzleramts geleistet wurden, um den Cyber-Angriff im Jahr 2019/2020 abzuwehren. Bis heute ist jedoch unbekannt, welche Firma damals mit der externen Unterstützung der Abwehr dieser Attacke betraut war und 1,69 Millionen Euro dafür in Rechnung stellte. Im Rechnungshofbericht ist die Rede von einer „Firma B“.
Während andere Bundesländer – wie etwa Kärnten – nach Cyber-Attacken detailliert offenlegten, welche Firmen mit der Angriffsabwehr betraut wurden und welche Kosten entstanden, herrscht im Außenministerium dazu bisher Funkstille. Immerhin: Außenministerin Beate Meinl-Reisinger, die das Ressort heuer übernommen hat, lässt den Fall nun neu aufrollen und hat eine Untersuchungskommission eingesetzt.
Im Außenministerium gibt es aktuelle viele offene Fragen, die geklärt werden müssen.
Millionenauftrag an Ikarus
Der nächste Aufreger folgte am 25. Juli 2025: Das Außenministerium vergab einen neuen Auftrag zur Cybersicherheit – im Wert von über einer Million Euro – an die Wiener Firma Ikarus. Eingeladen zur Angebotslegung war laut öffentlich zugänglicher Ausschreibungsdatenbank der Republik Österreich offenbar nur dieses eine Unternehmen gewesen.
„Üblicherweise werden bei solchen Ausschreibungen viele Anbieter eingeladen. Dass man sich ausschließlich auf eine einzige Firma beschränkt, ist zumindest ungewöhnlich und muss Gründe haben“, betont „Krone“-Cybersecurity-Experte Cornelius Granig im Gespräch mit krone.tv (siehe Video oben).
„Krone“-Cybersecurity-Experte Cornelius Granig
Politisch brisante Nähe
Besonders heikel: Ein wichtiger Manager von Ikarus ist seit 2020 der Ehemann der ehemaligen Wirtschafts- und Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck (ÖVP). Politische Nähe, eine Vergabe in Millionenhöhe und völlige Intransparenz über den genauen Inhalt des Auftrags – eine Mischung, die für reichlich Gesprächsstoff sorgt.
Margarete Schramböck war von 2018 bis 2019 Bundesministerin für Digitalisierung und ...
Margarete Schramböck war von 2018 bis 2019 Bundesministerin für
Keine Details „aus Sicherheitsgründen“
Seitens Ikarus wollte man sich auf Anfrage nicht äußern und verwies aufs Außenministerium. Dort hingegen heißt es, aus „Sicherheitsgründen“ könnten keine weiteren Details veröffentlicht werden.
Doch die Frage bleibt: Handelt es sich bei Ikarus womöglich um jene Firma, die schon beim Cyberangriff 2019/2020 zur Abwehr der Attacke involviert und im Rechnungshofbericht als „Firma B“ bezeichnet wurde? Und warum wird der Name der Firma eigentlich geheim gehalten, wenn doch die Abwehr des Angriffs – laut Darstellung des Außenministeriums – angeblich sehr erfolgreich gelungen ist?